07.06.2012: Stellungnahme
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landtagsfraktion Brandenburg
Landesvorstand Brandenburg
Bündnisgrüne Standpunkte zum Flughafen BER
Landesregierung in besonderer Verantwortung
Der Flughafen BER ist derzeit das größte Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands. Ab
Inbetriebnahme des Flughafens wird auf zwei Start- und Landebahnen der gesamte Flugverkehr
abgewickelt, der sich bisher auf die Standorte Tempelhof, Tegel und Schönefeld verteilte. Am
Flughafen in Schönefeld werden sich die Flugbewegungen voraussichtlich bis zum Jahr 2030
mit rund 360.000 Flugbewegungen versechsfachen.
Mit einem Anteil von 37 Prozent an der Flughafengesellschaft steht das Land Brandenburg
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern in einer besonderen Verantwortung. Wir erwarten
eine ehrliche, intensive und transparente Informationspolitik, die der Öffentlichkeit ermöglicht,
aktuelle Informationen über den Stand des Flughafenbaus, die Umsetzung der
Lärmschutzmaßnahmen oder die anfallenden Kosten zu erhalten. Wir fordern vor allem aber
einen umfassenden Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner vor Fluglärm. Gerade in einem
derart dicht besiedelten Gebiet müssen umfassende Schallschutzmaßnahmen für die
Betroffenen gewährleistet werden.
Für ein striktes Nachtflugverbot von 22-6 Uhr
Bisher werden durch den Planergänzungsbeschluss „Lärmschutzkonzept BBI“ Flüge lediglich
zwischen 24 und 5 Uhr untersagt. Wir sind der Auffassung, dass allen Bürgerinnen und Bürgern
mindestens acht Stunden Nachtruhe zugestanden werden muss. Diese Forderung haben wir
bereits im Dezember 2010 mit einem Antrag für ein Nachtflugverbot von 22-6 Uhr in das Plenum
eingebracht. Die rot-roten Landtagsfraktionen haben diesen Antrag mehrheitlich mit der
Begründung abgelehnt, dass ein derartiges Nachtflugverbot zu Wettbewerbsverzerrungen
führen würde und man dies einheitlich auf Bundesebene regeln müsse. Mit einem weiteren
Antrag haben wir deshalb die Landesregierung aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zu
starten, um weitergehende Nachtflugbegrenzungen im Luftverkehrsgesetz zu verankern. Doch
wurde auch dieser Antrag von SPD und LINKE nicht mitgetragen.
Neben unserer Hauptforderung nach einem Nachtflugverbot von 22-6 Uhr fordern wir darüber
hinaus die Ausschöpfung aller Möglichkeiten für lärmreduzierte Start- und Anflugverfahren.
Das Schallschutzprogramm bürgerinnenfreundlich umsetzen
Die bisherige Umsetzung des Schallschutzprogramms ist aus unserer Sicht fehlerhaft, zu
langsam und intransparent. So basieren die Kostenerstattungsvereinbarungen auf einem
unzureichenden Schutzniveau (6 Maximalpegel von 55 dB(A) tags im Rauminneren), welches
nicht den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses/Planergänzungsbeschlusses bzw. dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht (keine Überschreitung des Maximalpegel von
55 dB(A) tags im Rauminneren). Der mittlerweile durch die Flughafengesellschaft eingereichte
Antrag auf Änderung des Planfeststellungsbeschlusses darf nicht dazu führen, dass des
Schallschutzniveau aufgeweicht wird! Wir fordern die Landesregierung auf, sich als
Anteilseigner dafür einzusetzen, dass dieser Antrag zurückgezogen wird.
In den Kostenerstattungsvereinbarungen enthaltene Abgeltungsklauseln und offensichtliche
Fehler sowie inhaltliche Lücken führten bei den AntragstellerInnen bisher zu Verunsicherung
und zur Zurückhaltung bei der Unterzeichnung. Die Flughafengesellschaft wirft den Betroffenen
gleichzeitig jedoch eine unzureichende Mitwirkung vor.
Die Landtagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen hat deshalb mit weiteren Anträgen gefordert,
eine unabhängige Koordinierungsstelle für die Umsetzung des Schallschutzprogramms zu
schaffen. Diese soll für eine effektive und korrekte Realisierung des Schallschutzprogramms
sorgen und weitreichende Handlungskompetenzen erhalten. Neben einem Nachtflugverbot von
22-6 Uhr setzen wir uns dafür ein, dass alle Antragsberechtigten innerhalb der Schutzzonen
solange eine Entschädigungszahlung erhalten, bis die ihnen zustehenden
Schallschutzmaßnahmen korrekt umgesetzt sind.
Weiterhin fordern wir ein umfangreicheres Gesundheitsmonitoring, welches auf der Auswertung
umfassender Krankenkassendaten basiert. Dieses würde den Vergleich des
Gesundheitszustandes der Anwohnerinnen und Anwohner vor und nach Inbetriebnahme des
Flughafens ermöglichen. Hieraus könnten anschließend zusätzliche Maßnahmen des passiven
Schallschutzes abgeleitet werden.
Kein weiterer Ausbau des Standortes Schönfeld
Wir lehnen eine über den bereits genehmigten Ausbau hinausgehende Erweiterung des
Flughafens am Standort Schönefeld ab. Wir sprechen uns somit auch gegen den Bau einer
dritten Start- und Landebahn aus. Die Entwicklung eines weiteren Standortes oder der Ausbauvon Regionalflughäfen in Brandenburg für die Abwicklung des nationalen oder internationalen
Flugverkehrs wird als nicht erforderlich erachtet und strikt abgelehnt. Grundsätzlich bedarf es
einer Analyse des Flugverkehrs, um Synergieeffekte im Rahmen eines ostdeutschen
Flughafenkonzeptes zu nutzen. Eine einseitige Verschiebung der Fluglärmbelastung muss
dabei ausgeschlossen werden.
Alle Fakten müssen auf den Tisch: Ein Konzept für einen wirtschaftlichen Flughafen
Die Wirtschaftlichkeit des Flughafens Willy Brandt ist in weite Ferne gerückt. Für das Land
Brandenburg ist dies eine sehr bedrohliche Entwicklung. Denn Brandenburg übernimmt
momentan mit einer Bürgschaftsübernahme in Höhe von 888 Millionen Euro und einem
Gesellschafteranteil von 37% große Teile des Investitions- und Betriebsrisikos der
Flughafengesellschaft.Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Flughafenbetriebs sind nicht neu. Schon die Prüfung der
Renditeerwartungen vor der Bürgschaftsübernahme im Jahr 2009 durch das Land Brandenburg
wies auf eine Schieflage zwischen dem Umsatz des Flughafens und den Refinanzierungskosten
der Bauinvestitionen hin. Die Finanzierung der Zins-, Tilgungs- und
Abschreibungsaufwendungen durch die jährlichen betrieblichen Erträge des neuen Flughafens
waren nicht gesichert. Jährliche Verluste in Millionenhöhe wurden bis 2030 prognostiziert. In
diesem Zusammenhang war auch die stark wachsende Eigenkapitalausstattung auf über eine
Milliarde Euro im Jahr 2010 verständlich. Die Flughafen GmbH sorgte vor.Der Berechnung lagen allerdings sehr positive Prognosen über die Entwicklung des
Flugverkehrs in der Region zu Grunde. Aufgrund der externen Rahmenbedingungen in Form
von Flugverkehrssteuern, Kerosinsteuer, dem CO2-Emissionshandel und Änderungen im
Nutzerverhalten sehen wir die Entwicklung des Flugverkehrs deutlich zurückhaltender als die
Flughafengesellschaft.Die zusätzlichen Kosten durch die stark gestiegenen Bauaufwendungen und den drohenden
Schadensersatzansprüchen Dritter aufgrund der erneuten Verschiebung der Flughafeneröffnung
erweitern jedoch die bisherige Finanzierungslücke beträchtlich. Das aufgenommene
Kreditvolumen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro ist aufgebraucht. Auch die Eigenkapitalzufuhr
der Eigentümer in Höhe von insgesamt 430 Millionen Euro sind für den Flughafenbau
verwendet. Inwieweit der Eigenfinanzierungsanteil der Berliner Flughäfen in Höhe von 440
Millionen Euro für die noch ausstehenden Bauaufwendungen ausreicht, ist mehr als fraglich.Weitere Finanzspritzen unter EU-Vorbehalt
Drohende Schadensersatzansprüche und geringere Erträge durch den Weiterbetrieb der
aktuellen Flughäfen belasten die Flughafengesellschaft zusätzlich, Liquiditätsengpässe drohen.
Die Frage der Refinanzierung dieser außerordentlichen Belastungen muss deshalb frühzeitig
beantwortet werden. Zumal den Eigentümern nicht nur kurzfristige Finanzhilfen untersagt sind,
vielmehr ist auch die prinzipielle Erlaubnis für eine Finanzspritze ungewiss.Die Entscheidung über eine Liquiditätszufuhr durch die Eigentümer erteilt die Europäische
Kommission. Der Flughafen Willy Brandt ist auf Grund der prognostizierten Passagierzahlen in
der Kategorie A „große Gemeinschaftsflughäfen“ einzuordnen. Laut der "Gemeinschaftlichen
Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen"(2005/C312/01) stellt die Kommission gerade für
diese Flughafenkategorie einen intensiven Wettbewerb unter europäischen
Konkurrenzflughäfen fest. Unabhängig von der Eigentümerstruktur des Flughafens vertritt die
Kommission deshalb die Sicht, dass öffentliche Zuschüsse an Gemeinschaftsflughäfen der
Kategorie A und B die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung oder Beeinträchtigung des
Handels zwischen Mitgliedsstaaten in sich bergen. Deshalb müssen Maßnahmen, die
möglicherweise eine staatliche Beihilfe für einen Flughafen darstellen, bei der Kommission
angemeldet und genehmigt werden. Ausschlaggebend für das Prüfergebnis sind die
Rentabilitätsaussichten. Ein privater Investor in vergleichbarer Lage müsste eine solche
Investition auch vornehmen.Fehlt dies, definiert die Europäische Kommission eine Finanzspritze als staatliche Beihilfe. In
diesem Fall wären allen Eigentümern die Hände gebunden. Staatliche Beihilfen sind bei
Flughäfen lediglich erlaubt, wenn die Region des Flughafens unter die
Ausnahmebestimmungen des Artikels 87 Absatz 3 fällt. Diesen Förderstatus besitzt in
Brandenburg ausschließlich die Förderregion Nordost. Schönefeld im Landkreis Dahme-
Spreewald ist jedoch der Förderregion Südwest zugeordnet.Eine kurzfristige Bestandsaufnahme der Baukosten und anderer Forderungen sind angesichts
dessen zwingend notwendig, so dass der zusätzliche Finanzbedarf der Flughafen GmbH
festgestellt und die Finanzierungsoption geprüft werden können. Wir erwarten außerdem, dass
der Businessplan der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH so ausgerichtet wird, dass zukünftig
auch bei abnehmenden Flugbewegungen und Fluggastzahlen ein verlustfreier Betrieb
sichergestellt werden kann. Weiterhin gehört unserer Ansicht nach der dauerhafte Betrieb einesFlughafens nicht zu den originären Aufgaben der öffentlichen Hand. Mit einem Antrag haben wir
die Landesregierung bereits aufgefordert, ein Konzept zur Privatisierung der Flughafen
Schönefeld GmbH vorzulegen.Für bessere Lohnkontrollen beim BER sorgen
Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe, dass es am größten Bauvorhaben der
öffentlichen Hand in Brandenburg, dem Flughafen BER, zu massiven Verstößen gegen das
Arbeitsrecht und Schwarzarbeit kommt sowie in höherer Zahl unter Tarif bezahlte ArbeiterInnen
eingesetzt werden, fordern wir die rot-rote Landesregierung auf, unverzüglich für Aufklärung und
eine Verschärfung der Kontrollen zu sorgen. Als einer der drei Gesellschafter ist die
Landesregierung Auftraggeber am Flughafen und damit gemäß Landesvergabegesetz
verpflichtet, die Einhaltung der Mindestlohnregelungen zu überprüfen.
Kein Abschiebegewahrsam auf dem BER
Auf dem „Willy Brandt“-Flughafen sollen die Voraussetzungen für die Durchführung von
Flughafenverfahren geschaffen werden – darunter auch eine Unterbringungseinrichtung, in der
durchschnittlich bis zu 30 Asylsuchende zumindest bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag
verbleiben sollen. Das Verfahren ist aufgrund seiner gravierenden Folgen für die
Schutzsuchenden menschenrechtlich äußerst fragwürdig und beinhaltet substanzielle
rechtsstaatliche Defizite. Wir fordern die Landesregierung auf, sich nicht nur im Rahmen einer
Bundesratsinitiative gegen das Flughafenverfahren einzusetzen, sonder auch als Anteilseigner.
Position zum Volksbegehren für ein landesplanerisches Nachtflugverbot am Flughafen
Berlin Brandenburg International
Wir sprechen uns für die gemeinsame Position aus, dass am Flughafen BER kein
planmäßiger Nachtflug im Zeitraum 22-6 Uhr statt finden soll, um Lärmbetroffenheiten zu
reduzieren.
Wir stehen der weiteren Formulierung „Dabei soll der nationale und internationale
Luftverkehrsanschluss für Berlin und Brandenburg nicht allein auf den Ballungsraum
Berlin konzentriert werden.“ kritisch gegenüber, da hieraus der Ausbau Brandenburger
Regionalflughäfen interpretiert werden kann.
Wir unterstützen das Anliegen des Volksbegehren in der aktuellen Form, jedoch mit dem
Hinweis, dass, sobald das Volksbegehren im Brandenburger Landtag eingereicht wurde,
durch die Landtagsfraktion im weiteren Verfahren eine inhaltliche Ergänzung
vorgenommen wird. Mit einem weiteren Satz soll ausgeschlossen werden, dass
Brandenburger Regionalflughäfen für die Abwicklung des nationalen und internationalen
Flugverkehrs ausgebaut werden.
Stand: 07.06.2012
http://gruene-fraktion-brandenburg.de/uploads/media/120607_Buendnisgruene_Standpunkte_zum_BER.pdf