12.11.2010: Statement
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Statement im Rahmen der Pressekonferenz des Bündnisses „Berlin-Brandenburg gegen neue Flugrouten“ am 12. November 2010 in Zeuthen
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie zu dieser Pressekonferenz, meiner ersten als Schirmherrin des neuen Bündnisses „Berlin-Brandenburg gegen neue Flugrouten“.
Ich möchte Ihnen heute gern nahe bringen
warum wir uns und ich mich engagierewas wir erreichen wollenund warum wir Sie bitten, unserer Stimme Gewicht zu geben: Es geht um mehr als Flugrouten!Seien Sie herzlich willkommen in Zeuthen am See, an einem der schönsten Plätze in der Umgebung von Berlin – wie auch Theodor Fontane schwärmte. Deshalb wohne ich hier. Und ich hätte mir nie vorstellen können, dass diese wunderbare Gegend einmal massenhaft mit Düsenmaschinen in 500 bis 600 m Höhe überflogen werden soll.
Aber diese Gefahr droht jetzt. Wir haben uns seit über 10 Jahren auf die veröffentlichten Flugrouten verlassen. Seit dem 6. September dieses Jahres hat die neue Flugroutenplanung für den Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) die Welt für die Berliner und Brandenburger verändert.
Ja, hier in Zeuthen wohne und lebe ich. Ja, ich bin betroffen. Und ja, ich setze mich zur Wehr!
Ich bin Mitglied der Bürgerinitiative „Leben in Zeuthen“ und unterstütze das Bündnis „Berlin-Brandenburg gegen Flugrouten“.
Warum mache ich das? Als Präsidentin der letzten und einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR habe ich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im wiedervereinigten Deutschland gehofft.
Bei der Auseinandersetzung um die BBI-Flugrouten geht es auch um unsere Grundrechte, geht es auch um unseren Rechtsstaat, geht es auch um die Frage: Willkür oder Demokratie.
Deshalb empfand ich es als Ehre, dass ich Ende Oktober gefragt wurde, ob ich die Schirmherrin einer großen neuen Bürgerbewegung werden könnte, die die Bürgerinitiativen aus Berlin und Brandenburg in einem gemeinsamen Bündnis „Gegen die neuen BBI-Flugrouten“ vereinigen will.
Niemand, der hier mitmacht, wird sich auf Kosten eines anderen einen Vorteil verschaffen.
Die Bürgerinitiativen, die sich zum Bündnis Berlin-Brandenburg zusammenschließen, verbindet ein gemeinsames Ziel: Wir werden keine Flugrouten zulassen, die nicht dem Planfeststellungsverfahren zugrunde lagen. Und wir werden keinen Fluglärm in Gemeinden und Regionen akzeptieren, deren Betroffenheit im Planfeststellungsverfahren nicht vorgesehen und nicht erkennbar war.
Die Menschen, die seit langem in den Gebieten wohnen, die jetzt von den neuen Flugrouten betroffen sein sollen, die Menschen, die dort hingezogen sind, dort Wohnungen oder Häuser erworben und gebaut haben, diese Menschen konnten zu Recht darauf vertrauen, von Fluglärm nicht belastet zu werden.
Es geht um Gesundheit und Lebensqualität einer ganzen Region. Es geht um die Zukunftschancen unserer Kinder und Kindeskinder. Massenhafter Fluglärm macht krank. Er beeinträchtigt die Entwicklung unserer Kinder, beschränkt ihre Aufnahmefähigkeit und ihr Lernvermögen. Dauerhaft!
Ich bin Ärztin. Ich weiß, wovon ich spreche. Als Ärztin sehe ich nicht nur die gesundheitlichen Folgeschäden für die Bewohner in den betroffenen Gemeinden, sondern auch für die vielen lärmgeplagten Berliner, denen die Region als Naherholungsgebiet dient und die dort Ruhe suchen - nicht permanenten Fluglärm und giftige Abgase.
Ich erinnere in meinen Gesprächen mit den Verantwortlichen im Bund und in den Ländern immer auch daran, dass die schädigenden Wirkungen von Verkehrslärm nicht mehr wegdiskutiert werden können. Dessen unrühmliche Spitzenstellung nimmt ohne Zweifel der Düsenkrach auf Start- und Landerouten direkt über Wohnsiedlungen ein.
Schon vor fast zwanzig Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung der Zivilisationskrankheiten wie Stress und Kreislauferkrankungen in Europa die Strategie der „lebensweltorientierten Gesundheitsförderung“ in Gang gesetzt. Die Kommune ist eine solche Lebenswelt. Die neue BBI-Flugroutenpolitik hebelt die Erfolge der WHO-Strategie aus. Sie verkehrt sie ins Gegenteil, wenn die Gesundheitsressourcen, die unsere Regionen den Menschen heute noch bieten, durch Fluglärm vernichtet werden.
Wir, die da auf die Straße gehen, um gehört zu werden, sind keine Technikfeinde. Wir sind keine Fortschrittsverweigerer. Wir sind keine Gegner des Luftverkehrs. Der Luftverkehr hat die Welt zusammengeführt. Wir brauchen ihn.
Ich stehe auch heute noch staunend vor den Giganten der Lüfte und bewundere das, was Menschenhand schaffen kann. Wir Menschen haben es aber auch in der Hand, Flughäfen so anzulegen und Flugrouten so zu planen, dass diese Flugzeuge nicht über Häuser und Gärten donnern.
Wer hat uns denn diese neuen Flugrouten beschert? Darauf haben wir in den letzten zwei Monaten keine Auskunft erhalten.
Aus dem zuständigen Brandenburgischen Infrastrukturministerium verlautet: Wir nicht, wir haben doch die Routen aus der Planfeststellung.Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, sagt sein neuestem: Die jetzt vorgeschlagenen neuen Flugrouten sind inakzeptabel. Er will erreichen, dass zu den ursprünglichen Plänen zurückgekehrt wird. Er unterstützt sogar unsere Proteste und sagt: Sie müssen weitergehen. Und bei Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer laufen wir offene Türen ein. Sein öffentlicher Appell lautet: „Die ursprünglichen Routen müssen die Basis aller weiteren Arbeit sein. Ich stehe für Verlässlichkeit!“ Damit wäre eigentlich alles bestens. Alle drei Eigentümer des BBI sind einer Meinung. Alle drei beteuern, dass sie für die alten und gegen die neuen Flugrouten sind. Alle drei versprechen, dass die ursprünglichen Planungen gelten.
Sie könnten - als BBI-Eigentümer - die Sache also ganz rasch in diesem Sinne entscheiden.
Aber was tun sie? Sie entscheiden nicht, sondern sie delegieren die Entscheidung in die Fluglärmkommission.
Was dort dann passiert, haben wir am Monatg dieser Woche erlebt. Nach zwei Stunden wurde die Sitzung der Fluglärmkommission ergebnislos abgebrochen. Nach Presseberichten, die Sie ja alle kennen und selbst erarbeitet haben, soll der Sitzungsverlauf chaotisch gewesen sein.
Das lag nicht an den Mitgliedern aus den neu betroffenen Gemeinden. Im Gegenteil: Auf gezielte, präzise Fragen von Gemeindevertretern, die zum ersten Mal an einer FLK-Sitzung teilnahmen, gab der Vorsitzende der Kommission keine oder nur ausweichende Antworten. Man bekommt das Gefühl, dass es sich hier um ein „Schwarzer-Peter-Spiel“ handelt.
Die Politik macht Versprechungen und hält sich ansonsten fein raus. Sie schiebt die Verantwortung in die FLK, statt selber Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.
Die Bürgerinnen und Bürger durchschauen dieses Spiel aber längst. Deshalb ist ihr Vertrauen in die Politik so massiv erschüttert, und deshalb fordern wir unmissverständlich:
Herr Wowereit, Herr Platzeck, Herr Ramsauer – nicht die Bürger, nicht die Gemeinden müssen sich an einen Runden Tisch setzen. Setzen Sie sich an einen Tisch – ob rund oder eckig oder oval – und treffen sie die Entscheidung, für die Sie sich in Äußerungen und Ankündigungen stark machen. Sorgen Sie für Flugrouten, die dem Planfeststellungsverfahren entsprechen, und stellen Sie das Vertrauen der Bürger in die Demokratie wieder her.
Wir leben in einer Zeit, in der es sich niemand mehr erlauben darf, die Quellen der Natur und die Quellen der Ruhe, die so kostbar geworden sind, und nach denen die Menschen sich sehnen, durch willkürliche Änderung planfestgestellter Ergebnisse zu verschütten.
Wer das zulässt, unterhöhlt die Grundlagen des Rechtsstaats. Rechtssicherheit jedoch ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Bürger Vertrauen zum eigenen Staat fassen können. Dadurch geben sie ihm die Stabilität, die er braucht. Das Rechtsstaatsprinzip bedeutet Schutz des Bürgers vor Willkür und die Bindung staatlichen Handelns an die Normen des Rechts.
Ich füge als ehemalige Politikerin hinzu, dass die derzeitige Situation bei der Diskussion um die geänderten Flugrouten das Vertrauen in verlässliches politisches Handeln erheblich erschüttert hat.
Bundesverkehrsminister Ramsauer hat darauf hingewiesen, dass die Menschen sich darauf verlassen müssen, was ihnen Politik und Verwaltung jahrelang im Planfeststellungsverfahren vermittelt haben.
Das ist die Plattform für unser Bündnis, und deshalb bin ich als dessen Schirmherrin voll Zuversicht, dass unser Protest Erfolg haben wird!
Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Was aber geschieht mit Blankenfelde? Wir lassen die Menschen dort nicht im Stich. Ich halte allein schon die Vorstellung für unerträglich, dass die Startbahnen des modernsten Großflughafens auf Wohnsiedlungen gerichtet sind. Die Regeln der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation lassen das eigentlich gar nicht zu. Und trotzdem wurde der Flughafen so geplant, und so wird er wohl auch zu Ende gebaut.
Wir sind bereit, die Menschen von Blankenfelde in ihrem Ringen nach Lösungen zu unterstützen.
Aber: Auch wenn die politische, planungsrechtlich abgesicherte und höchstrichterlich bestätigte Standortentscheidung für die Blankenfelder unmenschlich ist - sie lässt sich nicht dadurch korrigieren, dass nun mit neuen Flugrouten hunderttausende neue Betroffene im Fluglärm gefangen werden. Das geht nicht. Für die Menschen in Blankenfelde tut wirksame Hilfe not. Die Belastung anderer jedoch darf nicht der Weg sein. Nicht zuletzt, wenn - wie Fachleute vermuten - die von der Planfeststellung so extrem abweichenden neuen Routen am Ende dazu führen, dass das vom Bundesverwaltungsgericht angeordnete Nachtflugverbot ausgehebelt wird. Dann wären die Menschen in Blankenfelde doppelt gestraft. Und alle anderen auch.
Vor allem aber gilt: Man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
Nicht wir, die BIs der neu betroffenen Gemeinden und Bezirke, haben den Flughafen BBI Schönefeld geplant, bewilligt und gebaut. Das haben das Land Brandenburg, das Land Berlin und der Bund getan. Sie sind für die Folgen verantwortlich, nicht wir. An sie muss sich der gerechtfertigte Protest und der gerechtfertigte Zorn aus Blankenfelde Mahlow richten. Uns neu Betroffenen sollte aber gerade deshalb niemand das Recht auf eigenen Protest absprechen, genau so wenig wie das Recht, uns gegen die Willkür der neuen Flugrouten zu wehren. Das nämlich wäre scheinheilig und am Ende wirklich egoistisch.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!